Sehr geehrter Herr Bundesrat Jans
Sehr geehrte Damen und Herren
Der Verband der der Schweizer Studierendenschaften (VSS) dankt Ihnen für die Möglichkeit zur Stellungnahme. Wir begrüssen die vorgeschlagene Änderung des Obligationenrechts vorbehaltlos in beiden Aspekten, der Verlängerung in der Anzahl Tage sowie der Ausweitung des Anwendungsbereiches auf Aktivitäten der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Der Bundesrat setzt damit ein deutliches Zeichen zur Stärkung des ehrenamtlichen Engagements von Jugendlichen. Von zentraler Bedeutung ist darüber hinaus, den Geltungsbereich des Jugendurlaubs auch auf Studierende auszuweiten.
Der VSS und der Jugendurlaub
Als nationaler Dachverband der Schweizer Studierendenschaften, welcher die Interessen von über 140’000 Studierenden vertritt, setzt sich der VSS dafür ein, dass Studierende die Möglichkeit haben, sich in verschiedenen Bereichen des politischen und gesellschaftlichen Lebens aktiv zu beteiligen. Die soziale Teilhabe der Studierenden durch die Leistung von Freiwilligenarbeit und die damit einhergehende Stärkung der Zivilgesellschaft erachtet der VSS als zentral. Deshalb engagieren wir uns für die Stärkung der Freiwilligenarbeit und die Schaffung geeigneter Beteiligungsmöglichkeiten für Schweizer Studierende in allen Phasen ihres Studiums.
Der Jugendurlaub, Jugendorganisationen und neue Herausforderungen
Seit 1991 haben alle Angestellten und Lernenden unter 30 Jahren, die sich ehrenamtlich in einer kulturellen, sportlichen oder sozialen Organisation für die Jugend engagieren, Anspruch auf fünf zusätzliche Urlaubstage pro Jahr. Der Jugendurlaub ist in Artikel 329e des Obligationenrechts geregelt. Der Jugendurlaub ermöglicht jungen Menschen vielfältige Engagements: Leitungsaufgaben (Organisation von Gruppenevents, Diskussionsabenden, Wochenendaktivitäten, Lagern und Kursen als J+S-Leiter:innen), Betreuungsaufgaben (Verantwortung für Lagerküchen, Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigungen, Animation in Jugendzentren), Beratungsaufgaben (Tätigkeit als J+S-Expert:in, Fachberater:in, Ausbildner:in oder Kursleiter:in) sowie die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungen.
In der Schweiz werden jährlich insgesamt rund 621 Millionen Stunden ehrenamtlicher Arbeit geleistet. Bewertet mit einem durchschnittlichen Lohn entspricht dies einem monetären Wert von 34 Milliarden Franken1. Auch der VSS basiert seit 1920 auf dem freiwilligen Engagement von Studierenden, die sich neben einem Vollzeitstudium und einem Nebenjob ehrenamtlich in der Hochschulpolitik einsetzen. Dennoch ist das formelle und informelle freiwillige Engagement seit den ersten statistischen Erhebungen im Jahr 1997 rückläufig. Der Anteil der Personen, die formellen ehrenamtlichen Engagements nachgehen, ist von 26,5 % auf 21 % gesunken2. Die Bereitschaft, sich in Bereichen wie Quartiervereinen, Berufsverbänden oder Jugendverbänden zu engagieren, hat abgenommen. Laut den Organisationen des Netzwerks freiwillig engagiert stehen diese Herausforderungen einerseits im Zusammenhang mit demografischen Entwicklungen (alternde Bevölkerung; fehlende systematische Nachwuchsgewinnung), anderseits mit strukturellen Trends wie Flexibilisierung, Mobilität, Individualisierung und der zunehmenden Vermischung von Erwerbs- und Freizeit. Dadurch haben sich die Erwartungen von Freiwilligen verändert: Sie bevorzugen kurze, unverbindliche Einsätze, was auch die Zunahme der Angebote im non-formellen Bereich des freiwilligen Engagements erklärt.3 Die Jugendorganisationen sind sich einig, dass es eine gezielte und nationale Förderung ehrenamtlicher Arbeit braucht.
Junge Menschen leisten dabei einen wesentlichen Beitrag: Ein Drittel der 15- bis 29-Jährigen engagiert sich ehrenamtlich.4 Um das grosse Potenzial der Nicht-Engagierten zu nutzen (22 % der Jugendlichen, die sich bisher nicht engagieren, aber es gerne tun würden), braucht es bessere Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Freiwilligenarbeit. 67 % der Befragten, die nicht freiwillig tätig sein, nennen genau diese fehlende Vereinbarkeit als Hindernis, sich freiwillig zu engagieren. Unter den 15- bis 24-Jährigen erwägen drei Viertel, sich stärker in der formellen Freiwilligenarbeit zu engagieren5.
Hohe Anforderungen und Leistungsdruck in Ausbildung und Beruf erschweren jungen Menschen zunehmend ehrenamtliches Engagement – besonders bei mehrwöchigen Einsätzen wie Lagern. Damit wird es schwieriger, motivierte Leiter:innen, Betreuer:innen und Berater:innen unter 30 Jahren für ausserschulische Jugendarbeit zu gewinnen. Unter den Gründen fürs Aufhören mit Freiwilligenarbeit steht der Punkt «berufliche Gründe» zuoberst: 41 % der ehemaligen Freiwilligen geben diesen an6.
Die Verlängerung des Jugendurlaubs auf zehn Tage ist eine sinnvolle und wirksame Massnahme. Das Parlament teilt diese Einschätzung: Die überparteiliche Motion 23.3734 „Für einen Jugendurlaub von zwei Wochen“ wurde in beiden Kammern einstimmig angenommen.
Der VSS unterstützt daher die Verlängerung des Jugendurlaubs auf zehn Tage. Die Verlängerung wird Folgendes ermöglichen:
- Förderung der physischen und psychischen Gesundheit sowie des sozialen Wohlbefindens
Ehrenamtliches Engagement wirkt sich positiv auf die körperliche und psychische Gesundheit junger Menschen aus – Bereiche, die ansonsten Anlass zur Sorge 7. Dies gilt auch für Studierende, welche durch den Jugendurlaub die Möglichkeit hätten, als Ausgleich und Ergänzung zu ihrem Alltag neben Studium und Nebenjob noch anderen Aktivitäten nachzugehen.
– Physisch: Der Urlaub erlaubt jungen Menschen, ihre meist sitzende Arbeitsumgebung zeitweise zu verlassen, und sich in den ehrenamtlichen Engagements mehrheitlich sportlich zu betätigen bzw. zu bewegen (oft bei J&S-Aktivitäten), wodurch das Risiko chronischer Erkrankungen (z. B. Diabetes, Übergewicht) sinkt.
– Psychisch: Engagement vermittelt Stressbewältigungskompetenzen, unterstützt nachhaltige Lebensweisen und verbessert den Schlaf, was wiederum Krankheitsrisiken senken lässt.
Eine Studie (Projekt SCOUT8) belegt: Beim Bundeslager 2022 der Pfadibewegung Schweiz nahmen positive Emotionen und Kompetenzen der Teilnehmenden deutlich zu.
- Entlastung von Jugendorganisationen in Schwierigkeiten
Der leichter Rückgang des formellen ehrenamtlichen Engagements schwächt das Fundament vieler Jugendorganisationen. Diese spielen seit Jahrzehnten eine zentrale Rolle für die Begleitung junger Menschen. Durch weniger Engagement geraten sie in Schwierigkeiten, ihr Angebot aufrechtzuerhalten. Eine Verlängerung des Jugendurlaubs auf zehn Tage gibt ihnen neue Luft und unterstützt sie durch zeitlich entlastete Freiwillige.
- Förderung gesellschaftlicher und demokratischer Integration, sowie Sicherung zugänglicher Angebote
Freiwilligenarbeit stärkt gesellschaftliche Integration – sie findet vor allem im Quartier (21 %), Wohnort (61 %) und Kanton (44 %) statt9. Diese Räume fördern auch politische Bildung und motivieren junge Menschen zur aktiven Teilnahme an lokalen, kantonalen und nationalen Institutionen.
Ausserdem gewährleisten diese ehrenamtlichen Tätigkeiten den reibungslosen Ablauf und die Zugänglichkeit von Ferienangeboten und anderen Aktivitäten für Kinder und Jugendliche. Zahlreiche Lager und Aktivitäten könnten ohne das Engagement von Freiwilligen, die dafür Jugendurlaub beziehen, gar nicht stattfinden. Eine Ausweitung auf zehn Tage würde diese positive Entwicklung verstärken und dank fairer Preise soziale Durchmischung sowie Chancengleichheit fördern.
- Arbeitgeber:innen den Zugang zu qualifizierten Fachkräften sichern
Freiwilligenarbeit bietet Studierenden die Möglichkeit, das im Unterricht erworbene theoretische Wissen in der Praxis anzuwenden. Zudem vermittelt Freiwilligenarbeit wertvolle persönliche, soziale, strategische und methodische Kompetenzen: Projektkoordination, Verantwortungsbewusstsein, Teamfähigkeit, Stressmanagement und Weiterbildung. Diese Kompetenzen erweisen sich zum einen während des Studiums als sehr nützlich und zum anderen können später auch die Arbeitgeber:innen direkt davon profitieren.
Engagierte Jugendliche sind sich dessen bewusst: 40,3 % der Freiwilligen nennen Wissens- und Erfahrungserweiterung als Motiv, 34,7 % persönliche Entwicklung, 30,9 % Netzwerkpflege und 10 % berufliche Vorteile.10
Der VSS betont jedoch zwei zentrale Punkte der Revision:
- Niedrige Inanspruchnahme steigern
Dieser Umstand wird von den Behörden als Argument dafür angeführt, dass die Verlängerung auf zwei Wochen (10 Tage) keine nennenswerten zusätzlichen Kosten für die Wirtschaft mit sich bringen wird. Tatsächlich wird der Jugendurlaub nur selten in Anspruch genommen und macht weniger als 0,1 % der Gesamtarbeitszeit aus, was im Jahr 2022 7,5 Millionen von insgesamt 7,9 Milliarden Stunden entspricht. Seit 2022 hat sich diese Situation nicht wesentlich verändert.
Wenn das Ziel dieser Verlängerung des Jugendurlaubs darin besteht, mehr freiwillige Arbeit zu fördern, dann müssen die Bundesbehörden daran arbeiten, dass junge Menschen diesen Urlaub stärker in Anspruch nehmen, insbesondere durch bessere Sichtbarkeitskampagnen.
- Breiten Anwendungsbereich beibehalten
Während der Debatten im Ständerat stellte ein Abgeordneter die Angemessenheit des derzeitigen Anwendungsbereichs in Frage und forderte dessen Einschränkung. Die RK-S räumte ein, dass dieser Anwendungsbereich einer Überprüfung bedürfe. Der VSS ist überzeugt, dass der derzeitige Anwendungsbereich richtig ist. Die Ausweitung auf Aktivitäten im offenen Raum, wie in der Revision des Kinder- und Jugendförderungsgesetzes (KJFG) von 2013 vorgesehen, ist ebenfalls eine gute Nachricht, die lediglich der Praxis folgt. Der VSS lehnt jedoch eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf kulturelle oder sportliche Aktivitäten entschieden ab. Der VSS hält an einer weit gefassten Definition von Jugendaktivitäten fest, die sich auf nicht gewinnorientierte Aktivitäten bezieht. Ob gewerkschaftlich oder politisch (die Gründe für die Intervention des betreffenden Abgeordneten), diese Engagements sorgen für eine bessere Integration der Jugendlichen in die Gesellschaft.
Der VSS sieht weitere Verbesserungsvorschläge beim Jugendurlaub:
- Erwerbsersatz für die erste Woche des Jugendurlaubs für junge Arbeitnehmende, Lernende unter 25 Jahren und Studierende
Für die Auszubildenden, die jungen Arbeitnehmer:innen oder die Studierenden mit einem Nebenjob bedeutet das Beziehen des Jugendurlaubs einen direkten, einschneidenden Verdienstausfall. Jugendliche mit tieferem Einkommen können es sich aufgrund fixer Ausgaben oft nicht leisten, für eine Woche auf ihren Lohn zu verzichten – insbesondere dann, wenn sie nicht mehr im Elternhaus leben. Das ursprüngliche Ziel des Jugendurlaubs bestand darin, Freiwilligenarbeit über den Kreis der Studierenden hinaus zugänglich zu machen. Die geringe Inanspruchnahme zeigt jedoch, dass dieses Ziel bisher nicht erreicht wurde. Ein wesentlicher Grund dafür liegt in den bestehenden finanziellen Hürden. Der Lohnausfall der ersten Woche (5 Tage) des Jugendurlaubs sollte daher über das System der Erwerbsersatzordnung honoriert werden. Diese Regelung würde garantieren, dass Arbeitgebende keinen zusätzlichen Anreiz haben, den Urlaub zu verweigern, und dass die Jugendlichen ihre Freiwilligentätigkeit ohne zusätzliche finanzielle Sorgen ausüben können. Eine Beschränkung dieser Regelung für unter 25-Jährige ist sinnvoll, denn diese Bevölkerungsgruppe diejenigen mit den niedrigsten Einkommen umfasst.
Dieses System sieht keine Vergütung für Freiwilligenarbeit vor, sondern verhindert lediglich einen Verdienstausfall, der zu einem Mangel an sozioökonomischer Vielfalt im Bereich der Jugendaktivitäten führt. Das System wäre dasselbe wie jenes, das sich im Rahmen der J&S-Leitungskurse bereits bewährt.
- Einführung einer Jugendurlaubs-Woche für Studierende sowie für Personen im Alter von 30 bis 35 Jahren
Einige Lager oder Schulungen, die von Studierenden geleitet und mitorganisiert werden, finden während des Semesters statt. Wenn Studierende freigestellt werden möchten, aber in der betreffenden Woche obligatorische Vorlesungen oder Seminare besuchen müssen, müssen sie sicherstellen, dass alle Dozierenden mit ihrer Abwesenheit einverstanden sind.
Wenn der Jugendurlaub eine Woche für Studierende garantieren würde, könnte dieser Antrag direkt an die Fakultät der Universität oder der Hochschule gerichtet werden, und der Entscheid über die Genehmigung des Antrags läge dann im Ermessen der Einrichtung und nicht mehr bei den einzelnen Dozierenden. Das würde die Chancengleichheit zwischen den Studierenden erhöhen, weil alle die Möglichkeit hätten, neben dem Studium und dem Nebenjob Erfahrung in der Freiwilligenarbeit zu sammeln und dabei neue Kompetenzen zu erwerben. Diese Kompetenzen können sich im Studium und später im Berufsleben als nützlich erweisen.
Viele 30 bis 35-Jährige engagieren sich weiter in Jugendorganisationen, oft in Positionen mit mehr Verantwortung (das Durchschnittsalter von Personen, die sich in Jugendorganisationen freiwillig engagieren, liegt bei 33 Jahren11). Die aktuell geltende Altersgrenze von 30 Jahren setzt eine harte Zäsur und führt dazu, dass sich viele Personen dieser Altersgruppe weniger freiwillig engagieren. Dadurch wird die Nachhaltigkeit zahlreicher Jugendangebote geschwächt.
Der VSS begrüsst die Revision vollumfänglich. Wir sind überzeugt, dass beide Aspekte der Reform (Verlängerung und Erweiterung) positiv sind.
Abschliessend möchten wir daran erinnern: Neue Belastungen, insbesondere das Entlastungspaket 2027 mit Kürzungen bei J+S und dem KJFG, erschweren die Arbeit der Jugendorganisationen massiv und haben weitreichende Folgen. Darüber hinaus führen neue administrative Hürden seitens der Behörden zu einer stärkeren Professionalisierung und bremsen die Freiwilligenarbeit erheblich.
[3] Ebd.
[4] Bundesamt für Statistik, Freiwilliges Engagement in der Schweiz 2020, Neuchâtel, 2021
[6] Ebd.
[9] Lambrecht et al., Freiwilligenmonitor Schweiz 2020, Version Seismo
[10] Bundesamt für Statistik, Freiwilliges Engagement in der Schweiz 2020, Neuchâtel, 2021
[11] Bundesamt für Statistik, Freiwilliges Engagement in der Schweiz 2020, Neuchâtel, 2021
