Das Bundesamt für Statistik hat heute den Bericht „Kantonale Stipendien und Darlehen 2012“ veröffentlicht. Die Zahlen sind alarmierend. Die Schweiz entfernt sich zunehmend von einem chancengerechten Zugang zur Bildung. Der Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS) wehrt sich gegen ein System, das keine Rücksicht auf den sozio-ökonomischen Hintergrund von ausbildungswilligen Personen nimmt.
Die Erhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS) zeigt, dass das gesamtschweizerische Stipendienvolumen seit 1990 inflationsbereinigt um 8% abgenommen hat. Die Subventionen des Bundes sind von 100 Millionen im Jahr 1990 auf 25 Millionen im letzten Jahr gesunken. Gleichzeitig stieg die Anzahl Studierender und Lernender in der postobligatorischen Ausbildung in den letzten zehn Jahren um 30% an. Das schweizerische Bildungssystem basiert auf dem Grundgedanken, dass jede Person nach Fähigkeit und Neigung eine Ausbildung absolvieren kann. Das jetzige Stipendiensystem, mit tieferen Ausgaben für Stipendien bei gleichzeitiger Zunahme von Studierenden, untergräbt dieses in der Verfassung festgeschriebene Grundrecht. 2012 erhielten 9.4% der Studierenden und Lernenden der Tertiärstufe ein Stipendium. Um einem chancengerechten Zugang zur Bildung garantieren zu können, müssten 20% der Personen in Ausbildung finanziell unterstützt werden. Anscheinend möchte die Schweiz nicht die fähigsten Personen ausbilden, sondern diejenigen, welche es sich leisten können.
Der Bericht des BFS zeigt eine weitere Schwäche auf: die föderalistische Ausgestaltung des Stipendienwesens. So bekommt beispielsweise eine Person aus dem Kanton Neuenburg durchschnittlich 3955 Franken pro Jahr, während sie im Kanton Waadt mehr als das Doppelte, nämlich 9148 Franken, bekäme. Ob man eine Ausbildung absolvieren kann, hängt folglich vom Wohnkanton ab. Diese kantonale Ungleichbehandlung ist willkürlich und trägt den Fähigkeiten und Neigungen einer Person keine Rechnung. Mélanie Glayre, Vorstandsmitglied des VSS, sagt dazu: „Wir stellen fest, dass die Zahlen des BFS wieder einmal zeigen, dass das föderalistische Stipendiensystem einen chancengerechten Zugang zur Bildung verhindert“.
Der VSS hat im Januar 2012 die Stipendieninitiative eingereicht. Sie fordert, dass diese diskriminierenden kantonalen Unterschiede durch eine materielle und formelle Harmonisierung aus dem Weg geräumt werden. Zudem soll ein Stipendium, neben Erwerbstätigkeit und allfälliger Unterstützung durch die Familie, einen gewissen minimalen Lebensstandard sichern.
Der VSS ist ob der neuen Zahlen des Bundesamtes für Statistik bezüglich des Stipendienwesens entsetzt. Die Schweiz ist weit entfernt von einem chancengerechten Zugang zur Bildung, bei dem die Fähigkeiten und Neigungen einer Person im Zentrum stehen und nicht ihr sozio-ökonomischer Hintergrund. Der VSS appelliert an die Politikerinnen und Politiker, ihre Verantwortung im Bildungsbereich wahrzunehmen, für eine echte Chancengleichheit einzustehen und in ein faires Bildungssystem zu investieren. Weil Ausbildung Zukunft schafft!