Gestern Sonntag hat sich die Mehrheit der Stimmbevölkerung der Schweiz für den Familienartikel ausgesprochen, jedoch das Ständemehr eine Annahme verhindert. Nun müssen Bund und Kantone nicht qua Bundesverfassung „die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit“ fördern und die Kantone nicht insbesondere „für ein bedarfsgerechtes Angebot an familien- und schulergänzenden Tagesstrukturen“ sorgen. Der Bund erhält somit nicht die Möglichkeit, falls die Bestrebungen von Kantonen und Dritten nicht ausreichen, Grundsätze über die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung festzulegen.
Der VSS begrüsst, dass in der Diskussion um Vereinbarkeit im allgemeinen und bei dieser Abstimmung im speziellen auch die Situation von Personen in Ausbildung mit berücksichtigt wurden und wird. Gerade Personen, welche neben ihrer Ausbildung familiären Verpflichtungen nachkommen müssen, sehen sich mit vielfältigen Problemen konfrontiert. Wie die Studie „Familie und Studium“ des Bundesamtes für Statistik zeigt, erachtet es fast die Hälfte (47%) der befragten Studierenden mit Kindern als schwierig, Kinderbetreuung und Studium zu vereinbaren. In einigen Fällen verhindert das fehlende Betreuungsangebot den Besuch von Studienveranstaltungen und Gaststudienaufenthalten. Zudem wird die Kinderbetreuung von vielen Studienteilnehmern und -teilnehmerinnen als potentielles Hindernis an einem positiven Studienabschluss erachtet. Aus der Studie ist weiter ersichtlich, dass die Geschlechter in unterschiedlichem Masse auf Kinderbetreuungsangebote angewiesen sind und die Schwierigkeit Studium und Familie zu vereinbaren unterschiedlich bewerten. Während männliche Studierende vielfach ihre Partnerin oder ihren Partner als Betreuungsperson angeben und eine externe Betreuung selten in Anspruch genommen wird, können weibliche Studierende selten auf ihre Partnerin oder ihren Partner zurückgreifen und sind auf zusätzliche Betreuungsangebote angewiesen. 1
Der VSS bedauert diesen Zustand und appelliert an Bund und Kantone, entsprechende Massnahmen zu ergreifen, um Personen mit Kindern in Ausbildung, insbesondere während eines Hochschulstudiums, zu unterstützen und ihnen zu einem erfolgreichen Ausbildungsabschluss zu verhelfen.
Vereinbarkeit darf jedoch nicht einseitig als Aufgabe von Frauen verstanden werden. Nichtsdestotrotz sind familien- und schulergänzende Tagesstrukturen unter den gegebenen Gesellschaftlichen Strukturen eine Notwendigkeit für einen Hochschulzugang, der Frauen nicht diskriminiert.
In diesem Sinne müssen die Gemeinden und Kantone der Schweiz aber auch der Bund auch nach dieser Abstimmung Grundlagen für einen chancengleichen Hochschulzugang geschaffen.
– Thomas Leibundgut ist seit September 2012 Vorstandsmitglied des VSS zuständig für Gleichstellung. Er studiert Geschichte im Master an der Universität Bern und war vor seinem Mandat beim VSS über zwei Jahre im Vorstand der StudentInnenschaft der Universität Bern.
Der VSS veröffentlicht in regelmässigen Abständen Blogbeiträge von Aktiven und Alumnis in ihrer jeweiligen Sprache. Die Beiträge repräsentieren die Meinung der Einzelpersonen. Der Inhalt dieses Beitrages wurde zudem von der Commission d’égalité vorbereitet und vom Comité législatif verabschiedet.
1. Vgl. dazu die Studie „Familie und Studium – Situation der Studierenden mit Kindern an den Schweizer Hochschulen 2009“ vom Bundesamt für Statistik BFS, insbesondere S.25f.