In der Schweiz sind 75% der Studierenden erwerbstätig, die grosse Mehrheit (83%) auch während der Vorlesungszeit. Die Arbeitspensen betragen häufig zwischen 30% und 50%. Dabei haben die Tätigkeiten selten einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Studium und verlangen auch keine spezifische Fachausbildung: Fast die Hälfte der Bachelor-Studierenden geben sogar an, dass ihr Job gar keinen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Studium hat1. Daher ist davon auszugehen, dass sie in Branchen arbeiten, die auch Ungelernte beschäftigen wie Gastronomie und Detailhandel.
Die Motive für die Erwerbstätigkeit sind dabei mehrheitlich ökonomische. So betrugen die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für Studierende zwischen 21 und 30 Jahren im Jahr 2009 zwischen CHF 1780.- und 1990.- pro Monat. Bei 26- bis 30-Jährigen kommt der grösste Teil zur Bestreitung dieser Kosten aus ihrer Erwerbstätigkeit2. Dies ist aber sehr knapp bemessen; unvorhergesehene Ausgaben, wie ein Zahnarztbesuch, können mit diesem Budget nicht aufgefangen werden. Der VSS geht – aufgrund der Daten der Sozialdienste der kantonalen Hochschulen – davon aus, dass die minimalen Lebenshaltungskosten von Studierenden ca. CHF 2000.- pro Monat betragen3. Viele Studierende arbeiten also neben dem Studium, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten – sie sind dabei in Branchen tätig, die den grössten Anteil an Tieflohnbezüger_innen aufweisen. Dieser Tieflohn reicht nicht für ein anständiges Leben bei steigenden Lebenshaltungskosten. Bei den Studierenden kommen die steigenden Studiengebühren und die Schwierigkeit, Stipendien zu erhalten, zu den ökonomischen Problemen hinzu.
Ein Mindestlohn für alle von CHF 22.- pro Stunde garantiert auch Studierenden eine anständige Basis zur Gestaltung des Lebensunterhaltes. Entgegen den Befürchtungen der Initiativgegner_innen sind wir davon überzeugt, dass ein Mindestlohn nicht zu einem Stellenabbau, sondern vielmehr zu einer erhöhten ökonomischen und sozialen Sicherheit führt. Dies gilt insbesondere für Branchen wie Gastronomie und Detailhandel, wo auch mit fairen Löhnen weiterhin – nicht-studentische und studentische – Arbeitskräfte benötigt werden.
Zudem wirkt ein Mindestlohn der Lohndiskriminierung von Frauen entgegen. Gerade Frauen sind nämlich häufig in Sektoren mit tiefen Löhnen tätig – sie machen 67% der Tieflohnbezüger_innen aus. Zudem zeigen die ersten Ergebnisse der Lohnstrukturerhebung 2012, die vor zwei Wochen vom Bundesamt für Statistik veröffentlicht wurden, dass die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern wieder zugenommen hat: Sie beträgt mittlerweile 18.9%4. Die unterschiedliche Entlöhnung lässt sich teilweise durch objektive Faktoren wie Qualifikation, Berufserfahrung und stellenbezogene Merkmale erklären. Fast 40% der Differenz sind jedoch nicht erklärbar und werden als diskriminierend gewertet. Die Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts kann auch bei Studierenden beobachtet werden und nimmt mit höherer Ausbildung und Verantwortung sogar noch zu5. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist in unseren Augen also nicht nur ein bedeutendes Mittel, um allen zu einem Leben in Würde zu verhelfen und Lohndumping zu verhindern. Er kann auch als wichtiger Schritt auf dem Weg in Richtung Lohn- und Chancengleichheit gewertet werden.
1Bundesamt für Statistik, Studieren unter Bologna. Hauptbericht der Erhebung zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Studierenden an den Schweizer Hochschulen 2009, Neuchâtel 2010. http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/publikationen.html?publicationID=4107
2ibid.
3Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS), Die Schweiz und ihr(e) Stipendienwesen. Analyse, Kritik und Perspektiven aus Sicht der Studierenden, Bern: a propos Verlag 2013.
4http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/03/01/new/nip_detail.html?gnpID=2013-322
5Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG, Auf dem Weg zur Lohngleichheit! Tatsachen und Trends, Bern 2013. http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/news/publikationen.html?publicationID=5225– Letizia Carigiet, Kathrin Beeler und Coralie Boulet sind Co-Präsidentinnen bzw. Mitglied der Gleichstellungskommission (CodEg) des VSS. Fabienne Jacomet ist im VSS-Vorstand für Gleichstellung zuständig. Sie setzen sich in ihrem Alltag und ihrem Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter auch mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen von Studierenden auseinander. Der VSS veröffentlicht in regelmässigen Abständen Blogbeiträge von Aktiven und Alumnis in ihrer jeweiligen Sprache. Die Beiträge repräsentieren die Meinung der Einzelpersonen.